Digitalisierung von Kundenservices - Zwischen der Renaissance der Emotionalität und High-Performance-Computing

In den letzten Jahren lag der Fokus im Bereich Kundenkommunikation überwiegend auf den digitalen Kontaktkanälen. Nicht alle Unternehmen und Organisationen aber haben den wesentlichen Vorteil digitaler Kanäle voll ausgeschöpft. Die Möglichkeit über diese Kanäle vollkommen neu strukturierte und unstrukturierte Datenmengen zu sammeln wird nur von wenigen gemeistert. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es neben der organisatorischen, prozessualen und kulturellen Ausrichtung auch Tools, die eben diese Fähigkeit gewinnbringend umsetzen können. Ein wesentlicher Baustein hierfür sind sicherlich CRM-Systeme. Richtig umgesetzt bietet die digitale Kundenkommunikation viele Vorteile. So können hier Messages, Produkte und Services so individuell wie nie zuvor auf die Zielgruppen ausgerichtet werden. Dabei werden diese Zielgruppen immer feiner definiert und dies nicht nur basierend auf Hypothesen, sondern basierend auf Daten und Analyseergebnissen. Das ermöglicht auch eine echte Verschiebung von der primären Reaktions- und Versuchsdoktrin hin zu echtem Agieren.

Digitalisierung ist kein Selbstläufer

Jedoch ist die Digitalisierung kein Selbstläufer. So hat Procter & Gamble im Jahr 2017 sein Online Budget um 200 Mio. Dollar gekürzt und teilweise traditionell reloziert. Dabei wurden so gut wie keine Unterschiede in den Ergebnissen festgestellt, außer, dass die Reichweite um 10% erhöht wurde. Dies zeigt, dass das Prinzip Gießkanne auch online nicht funktioniert. Digitale Technologien machen es relativ einfach, dem Prinzip Gießkanne zu entsagen. So kommuniziert eine Organisation mit einem Kunden, indem ihm ein Nutzen geboten wird. Das können Dinge wie Informationen, Produkte oder auch einfach nur eine Rechnung sein. Der Kunde reagiert auf den Kontakt. Jetzt bedient sich die Organisation nicht nur der neuen Kanäle, sondern insgesamt neuer digitaler Technologien wie der bereits erwähnten CRM-Systeme in Verbindung mit Big Data Infrastrukturen, um die Datenmengen beherrschen, und analytischer Methoden und Technologien, um die Datenmengen auswerten zu können. Das führt dazu, dass die Organisation für den einzelnen Kunden mehr Nutzen stiften kann. Dies wiederum führt zu mehr Kommunikation und auch mehr Daten. Dadurch entsteht ein sich selbst fütternder Daten-Nutzen-Kreislauf.

 

Abbildung 1: Daten-Nutzen-Kreislauf

Neue Technologien beschleunigen diesen Zyklus in Menge, Geschwindigkeit und Qualität der Kommunikation und deren Ergebnisse. Neue Entwicklungen werden neue Funktionalitäten bieten wie echte KI durch Depp Learning. Hierdurch können schnellere und relevantere Reaktionen erfolgen, d. h. die Next Best Action kann identifiziert werden und das für jeden Kunden während der laufenden Kommunikation oder Vertriebsaktionen werden eingeleitet bevor der Kunde den Bedarf überhaupt wahrnimmt. Dieses futuristisch klingende Konzept heißt Anticipatory Logistics bei der US Army und Anticipatory Shipping bei Amazon.

Viele Anbieter liefern Ihre CRM-Systeme bereits mit KI-Komponenten aus. Ein Beispiel ist Salesforce mit Einstein oder dem Prediction Builder. Hier werden aktuell - je nach Datenmengen und -komplexität - noch mehrere Stunden für die Berechnung der Ergebnisse benötigt. Wenn man aber einen Schritt weiter, Richtung High Performance Computing denkt, werden diese Zeiten auf Minuten und Sekunden sinken und somit sehr nahe an die Echtzeit rücken. Überhaupt wird die Kombination Deep Learning mit High Performance Computing ganze neue Ebenen in der Kundenkommunikation erschließen.

 

Abbildung 2: Beschleunigter Daten-Nutzen-Kreislauf

Diese Möglichkeiten unterstützt und getragen durch neue Übertragungstechnologien wie 5G werden es uns in Kombination mit der digitalen Flexibilität ermöglichen, relevante Kommunikation zur richtigen Zeit am richtigen Ort an den Kunden zu übermitteln. Aber, als BMW 2018 seinen neuen X2 einführte, setzten sie ganz auf eine digitale Markteinführungsstrategie. Worauf man nicht vorbereitet war, war der starke Bedarf auch bei den jungen Käufern nach den typischen physischen Infomaterialien. Etwa 67% der Autohändler stellten selbst entsprechende Kataloge zusammen und druckten sie für die Kundschaft. Ein Albtraum für das zentrale Marketing!

In der Folge forderten 87% der Händler eine Wiedereinführung klassischer Kataloge für die weiteren Modelleinführungen, so dass es bei BMW tatsächlich wieder die Option des Versands eines physischen Prospekts gibt.

Kritisch ist auch, dass sich eine verstärkte Digitalisierung der Kundenkommunikation oftmals negativ auf die Kundenloyalität auswirkt. Parallel zu deren Digitalisierungsanstrengungen der letzten Jahre hat sich bei Energieversorgern etwa die Anzahl der jährlichen Wechsler (ohne Umzüge) seit 2011 von 2,5 Mio. auf zeitweise 3,6 Mio. stetig erhöht – ein Einbruch in der Kundenloyalität!

Auch Onlineshops kommunizieren Analog

Vor diesem Hintergrund ist auch die Maßnahme 50 bekannter Online-Shops interessant, die sich der Dialogpoststudie anschlossen, die der Collaborative Marketing Club in Kooperation mit der Deutschen Post in diesem Jahr (2019) zum zweiten Mal in Folge durchgeführt hat. Alle Unternehmen haben physische Mailings an ihre Bestandskunden versendet. In Summe sind so 1,25 Millionen personalisierte Mailings mit zwei Kaufgutscheinen (für den Adressaten selbst und einen Freund) verschickt worden. Die Conversion Rate schoss von 0,1% auf 4,5%, der durchschnittliche Warenkorb erhöhte sich sogar um 12%. Besonders überraschend für die an schnelllebige Ergebnisse gewöhnten Unternehmen war, dass noch bis zu 6 Monate nach der eigentlichen Mailingaktion Reaktionen eingingen. In diesem Kontext ist auch eine weitere Befragung erwähnenswert, die feststellte, dass die Zusendung wichtiger Dokumente seitens des Unternehmens auch in Zukunft per Post gewünscht wird:

  • Über die Hälfte der befragten Privat- und Geschäftskunden wollen Versicherungspolicen lieber per Post erhalten als über elektronische Medien.
  • Selbst Rechnungen, die heute über die verschiedensten Kanäle empfangen werden können, möchte jeder Vierte ausschließlich auf dem Postweg erhalten.
  • Physischen Rechnungen beigelegte Werbung wird als weniger störend und grundsätzlich interessanter bewertet.

Überraschend sind diese Ergebnisse nur auf den ersten Blick. So beschäftigen sich 40% unseres Gehirns permanent mit Haptik. Und der Tastsinn wird als unser Wahrheitssinn gesehen, denn haptische Eindrücke färben unsere Wahrnehmung. So erzeugt haptisch optimierte Kommunikation mehr Aufmerksamkeit, bleibt länger in Erinnerung und erzeugt eine größere Resonanz. Paradoxerweise zeigen gerade Touchscreens, wie wichtig den Menschen die Haptik ist. Studien zeigen, dass das Berühren eines Produktbildes ein stärkeres psychologisches Besitzgefühl auslöst als ein Klick mit der Maus.

Einigkeit besteht sicherlich in der Bewertung, dass die Digitalisierung viele Vorteile mit sich bringt, weiter getrieben werden wird und ein dauerhaftes Phänomen und keine Modererscheinung ist.

Transaktionswert und -richtung sind unterschätze Parameter in der Kundenkommunikation

Was sich allerdings ändern wird, ist die Betrachtung der Digitalisierung und insbesondere der digitalen Kommunikation als monolithischen Block im Sinne einer Kommunikationsstrategie. Wie wir gesehen haben, unterscheiden Kunden zwei neue Dimensionen in der Kundenkommunikation – die Transaktionswertrichtung und den Transaktionswert.

Kommuniziert der Kunde mit dem Unternehmen, steht nach wie vor die Einfachheit und Convenience im Vordergrund, was ein starkes Argument für digitale Kanäle ist, die zu jeder Zeit überall bedient werden können. Wenn das Unternehmen allerdings mit dem Kunden kommuniziert, schwingt das Pendel Richtung traditioneller Kommunikation. Nicht nur aus bewusster Sicht des Kunden, der sich wertgeschätzt fühlt. Auch aus unterbewusster Perspektive ist dieser Ansatz interessant für das Unternehmen, da es so das Rauschen der verschiedenen Botschaften durchdringen und beim Kunden „hängen“ bleiben kann, indem es sich auf die evolutorische Auslegung der Menschen besinnt.

Des Weiteren unterscheidet der Kunde ganz klar nach Transaktionswert. So werden Informationen in Bezug auf einen teuren Autokauf bevorzugt haptisch und erfahrbar gesammelt, während einfache Kontoauszüge durchaus digital alle Erwartungen erfüllen. Zu berücksichtigen ist, dass der Wert der Transaktion für den einen oder anderen individuell abweichen kann. Hier kann die Digitalisierung helfen um die individuellen Präferenzen der Kunden zu verstehen und zu bedienen.

Daraus ergeben sich bisher vernachlässigte Einsichten zur Kommunikationsplanung, die künftig Transaktionswert und Transaktionsrichtung berücksichtigen müssen.

 

Transaktionsrichtung
Transaktionsrichtung
 
Die Transaktionsrichtung und der Transaktionswert müssen führende Elemente in der Kommunikationsplanung werden. Darunter muss sich dann das Kanalmanagement sowohl auf digitaler, als auch traditioneller Ebene ausrichten.

 

Die Digitalisierung ist trotz allem keine Sackgasse. Sie muss aber ganzheitlich betrachtet und umgesetzt werden, also auch traditionelle Kanäle einschließen und nutzen. Die Fähigkeiten, Daten zu sammeln, zu verarbeiten, richtig zu interpretieren und daraus Aktionen abzuleiten muss für alle diese Bereiche ausgebaut werden. Auch die traditionellen Kanäle haben nicht zuletzt auf Grund der Digitalisierung große Fortschritte gemacht. Insbesondere im Druckbereich können heute sehr flexibel und schnell Druckerzeugnisse in großen Mengen bei gleichzeitiger Personalisierung erzeugt und versendet werden. Hier fließen die Erkenntnisse der datengetriebenen Ökonomie ein. Auf der anderen Seite können haptische Rückläufer mittlerweile auch hoch automatisiert eingelesen, ausgewertet und bearbeitet werden, was den Daten-Nutzen-Kreislauf dann wieder schließt. So wird es in Zukunft darum gehen, eine wahrhaft ganzheitliche Kundenkommunikation zu konzipieren und umzusetzen – mit dem Menschen und seinen Bedürfnissen als zentralem Angelpunkt.

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